Die Grundschule „Miriam Lundner engagiert sich seit 30 Jahren für die Erinnerung an die jüdische Kultur in der Stadt Halberstadt. Dafür pflegt die Schulgemeinschaft aktiv Kontakte zu ehemaligen Halberstädter Juden und deren Nachfahren, die heute in Israel leben. Das Schulprofil “ Gemeinsam gegen das Vergessen für die Zukunft“ wurde gemeinsam mit den Schülern nach der Namensgebung 2001 entwickelt.
Wie zeichnet sich das Engagement der Schule aus?
Die Grundschule „Miriam Lundner“ ist eine der ersten Grundschulen in Sachsen-Anhalt, die in das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ aufgenommen wurden. Dafür hat die Schulgemeinschaft die Regeln für den Grundschulalltag umgesetzt. Diese lauten:
- lch achte zuerst auf mein eigenes Verhalten
- lch bin fair, beschimpfe niemanden und lache keinen aus.
- lch wende keine Gewalt an, verletze niemanden.
- Konflikte, Streit trage ich mit Worten aus
- Fremden und neuen Kindern helfe ich und bin freundlich zu ihnen.
- lch akzeptiere die Sitten und Bräuche anderer Länder und anderer Religionen.
- lch helfe mutig anderen, die in Not geraten sind
- Denen, die sich nicht gut verhalten, sage ich offen meine Meinung.
- Wenn es mir möglich ist, schaue ich nicht zu, sondern greife ein.
- lch könnte auch schnell Hilfe holen oder laut um Hilfe der Umstehenden bitten.
Die Schüler erleben vom ersten Schultag an, dass sich moralische Werte am besten dann entwickeln, wenn das Kind positive Werte erlebt.
Bereits von der ersten Klasse an werden die Schülerinnen und Schüler für die Geschichte der jüdischen Bevölkerung sensibilisiert. Sie erfahren, dass die Namensgeberin ihrer Schule, Miriam Lundner, ein jüdisches Mädchen war, das am 12. April 1942 — ihrem vierten Geburtstag – mit ihren Eltern und fünf ihrer sechs Geschwister und vielen anderen Halberstädter Juden ihre Heimatstadt verlassen musste, in das Warschauer Ghetto deportiert und von den Nazis umgebracht wurde.
Bei regelmäßigen Projekttagen dringen die Schülerinnen und Schüler immer tiefer in diese Thematik ein. Dabei besuchen sie die Orte, an denen früher jüdisches Leben stattfand. Durch alljährliche persönliche Begegnungen mit Nachfahren von ehemaligen Halberstädter Juden geben sie den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit, die Kultur auf dem direkten Weg kennenzulernen.
Die Schülerinnen und Schüler der Schule sind auch an der Gestaltung der Gedenkveranstaltung an den „Steinen der Erinnerung“ vor dem Halberstädter Dom, in welche die Namen der 150 deportierten jüdischen Halberstädter Mitbürger eingraviert sind, beteiligt. Dort wird an jedem 12. April an die Deportation erinnert.
Nachdem am Tag des offenen Denkmals 2017 erstmalig in der Domstadt das Projekt „Offene jüdische Häuser“ realisiert wurde, dass seitdem jedes Jahr im September 2020 stattfindet, haben die Grundschüler in diesem Jahr daraus ein eigenes Projekt entwickelt. Ein Teil davon beschäftigt sich mit Freundschaften von Kindern, die die ehemalige jüdische Schule „Hascharat Zwi“ in Halberstadt besuchten. Eine von den damaligen Schülerinnen war Ruth Oppenheimer, geborene Lindheimer. Sie hat Deutschland im Frühjahr 1939 mit einem Kindertransport verlassen. Unter den wenigen Dingen, die sie mitnehmen durfte, war u.a. ihr Poesiealbum, in das Familienmitglieder, Lehrer, Schulkameraden und beste Freunde eingetragen sind. Viele dieser Menschen haben das Naziregime nicht überlebt. Diesen Schatz schenkte Ruth Oppenheimer der Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt.
Die Kinder der Grundschule „Miriam Lundner“ haben für sie ein neues Poesiealbum gestaltet und es symbolisch an Ruth übergeben, die wegen der Coronapandemie aus den USA nicht nach Halberstadt kommen konnte. ln den Sommerferien gestalteten die Mädchen und Jungen selbstständig jeweils eine Seite für dieses besondere Freundschaftsalbum. Die Vielfalt der liebevollen Ergebnisse der Kinder zeigt, wie sehr die Thematik in ihren Köpfen und Herzen verankert ist. ln diesem Projekt haben die Kinder u.a. erfahren, dass in Zeiten von Repressionen, Verfolgung und trotz zunehmenden Hasses in der Gesellschaft Freundschaften bestehen bleiben.
Sie sind gespannt darauf, wie die 92-jährige Ruth Oppenheimer auf dieses neue Album reagiert.